Haushaltsrede der Härtenliste im Gemeinderat am 22.3.2022
von Gudrun Witte-Borst.
Liebe Einwohner*innen von Kusterdingen, Wankheim, Jettenburg, Mähringen und Immenhausen,
Liebe Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderates,
Liebe Verwaltung,
Lieber Bürgermeister Dr. Soltau,
„Alle Jahre wieder kommt Weihnachten und der Haushaltsplan der Gemeinde. Überraschungen gibt es in beiden Fällen, hoffentlich nur positive.“
So begann der Einstieg unserer HH-Rede Anfang Februar. Heute, am 22. März stehen wir vor einer ganz neuen, noch nie dagewesenen Situation.
Putins Krieg gegen die Ukraine wird das Leben in Europa und auch unser Leben in Kusterdingen merklich verändern.
Tagtäglich werden wir alle mit dem Leid der Menschen in der Ukraine konfrontiert und mit den noch unvorstellbaren Konsequenzen dieses Krieges für die Menschen und die Erde. Die Entwicklungen der letzten Tage sind erschütternd. Sie lassen uns traurig, wütend und fassungslos zurück.
Können wir es uns erlauben in unserer HH-Rede und unseren Betrachtungen zur Finanzsituation der Gemeinde Kusterdingen, den kriegerischen Überfall Putins auf die Ukraine, herauszuhalten?
Wir sagen, NEIN.
Die im Haushaltsplan stehenden Vorhaben, die die Verwaltung im kommenden Jahr umsetzen soll, die Berechnungen, was es voraussichtlich kosten wird, die Gegenüberstellungen von Erträgen und Aufwendungen, die von der Verwaltung erwartet werden, waren immer ein Blick in die Kristallkugel.
Heute gilt dies mehr denn je.
Der russische Angriff auf die Ukraine verursacht viel Leid, wird für die Weltwirtschaft schwerwiegende Folgen haben und führt zu einer bisher nicht gekannten Erhöhung der Militärausgaben. Dies wird sich bis weit hinunter in die Kommunen bemerkbar machen. Die extreme Preissteigerung – nicht nur – im Bausektor, Lieferengpässe von Rohstoffen, steigende Energiepreise, all dies wird nur der Anfang sein. Die Lebenshaltungskosten werden steigen und das prognostizierte Steueraufkommen wird zurückgehen. Kriegsflüchtlinge werden nach Deutschland und nach Kusterdingen kommen. Der russische Überfall auf die Ukraine ist derzeit das beherrschende Thema auf allen Medienkanälen und in der Politik und jeder Tag bringt weitere bedrohliche Nachrichten. Zudem ist die Klimakatastrophe nicht aus der Welt, ja die Klimaschäden nehmen dramatisch zu.
Diese krisenhaften Rahmenbedingungen behalten wir im Bewusstsein, wenn wir uns dem HH-Plan unserer Gemeinde zuwenden:
So erlauben sie mir, dass ich zu ausgewählten Projekten im HH – Plan, in 4 Abschnitten die Position der Fraktion Härtenliste erläutere.
1. Es ist unsere Aufgabe als Gemeinderäte, auch unter schwierigsten Rahmenbedingungen konstruktiv in die Zukunft zu blicken.
„Tätige Verzweiflung“ Wolfgang Borchert
Aktivwerden, auch wenn man selbst viele Bedenken hat, ob es etwas hilft.
Zuerst einmal stellen wir fest: wir brauchen ein neues Feuerwehrhaus, wir brauchen dringend neue Kindergärten, in Kusterdingen und südlich der B 28.
Das Kinderhaus Pusteblume in Mähringen ist de facto voll und südlich der B28 sind wir in dem Dilemma, dass wir den Kindern, die einen Kindergartenplatz brauchen, keinen bereitstellen können, den sie mit ihren Eltern zu Fuß oder mit dem Rad zumutbar erreichen können.
Zudem ist uns die personelle Situation in der Verwaltung bewusst und wir haben Verständnis, dass in diesem Jahr keine Haushaltsmittel für den Kindergarten südlich der B28 eingestellt wurden. Eine weitere Aufschiebung dieses wichtigen Projektes darf es dann aber nicht mehr geben!
Und – Der Mensch lebt nicht im Haus allein. In diesem Sinne freuen wir uns, dass für die Gestaltung des Brunnenplatzes in Mähringen Haushaltsmittel zur Verfügung stehen. Und freuen uns, wenn das Projekt ‚Neue Ortsmitte Kusterdingen‘, das mit viel Herzblut von Frau Hirzler geplant und von Frau Ambros vorangetrieben wird und mit starker Bürgerbeteiligung verbunden ist, im kommenden Jahr wieder Fahrt aufnimmt. Deshalb stellen wir, nachdem der HH 2022 verabschiedet ist, den Antrag Haushaltsmittel für die Neue Ortsmitte Kusterdingen in den HH 2023 einzustellen.
Wir hoffen, dass der Einbau der Lüftungsanlagen in der Astrid Lindgren Schule sowie der Härtenschule alsbald umgesetzt ist. Die Corona bedingten Zumutungen, die die Schüler*innen ertragen müssen, werden dadurch sicher nicht gänzlich wegfallen, aber die Situation insgesamt erheblich verbessern.
Bei großen Projekten der Gemeinde sind der Klimaschutz und der Nachhaltigkeitsgedanke noch nicht überall angekommen, dies zeigt sich in dem Plan unseres Feuerwehrhauses, der leider den ökologischen Erfordernissen der heutigen Zeit in keiner Weise gerecht wird. Einen Betonbunker mit Klinkerfassade zu bauen ist unbegreiflich. Dass man auch anders planen kann zeigt Lustnau mit seinem Holzhybridfeuerwehrhaus.
Dass es in Kusterdingen auch anders geht, sehen wir in der leistungsstarken PV-Anlage, die es auf der Härten Sporthalle geben wird. Es wird im Zusammenhang mit dem Quartiersmanagement über die Möglichkeit von Nahwärme nachgedacht, das Thema Windkraftanlagen auf der Schinderklinge rückt in den Fokus des Machbaren.
2. Übers Klima sprechen in Zeiten des Krieges –
Ist das möglich? Und wie kann es aussehen?
Am Montag den 28.02.2022 wurde der Bericht des Weltklimarates IPCC- herausgegebene. In einer Zusammenfassung heißt es: „der Klimawandel ist eine Bedrohung für das Wohlergehen des Menschen und die Gesundheit des Planeten“. Der IPCC warnt eindringlich vor den Folgen weiterer Untätigkeit.
Das Helmholzzentrum für Umweltforschung UFZ stellt fest, dass der Klimawandel die Ökosysteme deutlich verändern wird und vor allem zwei Risiken für die Artenvielfalt birgt: Zum einen läuft er schneller ab, als sich viele Arten genetisch anpassen oder mit den Temperaturverschiebungen wandern können. Zum anderen drohen vielfältige Interaktionen zwischen den Arten aus dem Rhythmus zu geraten mit ungeahnten Folgen, wie Nahrungsmittelausfälle und Seuchen.
Was heißt das für eine Kommunalpolitik?
Biotopvernetzung und Strategien zur Erhaltung der Biodiversität sind keine zu vernachlässigenden, ungewöhnlichen Aktivitäten, Orchideenfächer, denen man sich widmen kann, wenn genügend Zeit und Geld vorhanden ist. Sie gehören in eine Gesamtbetrachtung, in der auch Bodenschutz und Flächenschutz, selbst die Pachtverträge der Gemeinde, Teil des ökologischen Handelns und Entscheidens in einer Kommune sein sollten.
Aus unserem Haushaltsplan geht nicht hervor, welche ökologischen Auswirkungen die Errichtung eines Gebäudes haben wird. Es ist nicht ersichtlich, welche Materialien in welcher Größenordnung Verwendung finden und welche Auswirkungen auf die Klimaentwicklung daraus zu erwarten sind. Und auch die Fragen müssen wir uns stellen: Haben wir das Maß verloren?
Wird dies den Menschen in der Zukunft gerecht?
Wer heute politische Entscheidungen trifft und die Planung zur Umsetzung dieser Entscheidungen vornimmt, muss wissen, welche ökonomischen, sozialen und ökologischen Auswirkungen dies zur Folge hat. Zwar gibt es bei einem Bauprojekt, wie dem Neubau des Feuerwehrhauses, eine Finanz-, Energie- und CO2-Bilanzschätzung für den Betrieb des Gebäudes. Für die Errichtung des Gebäudes liegt eine Investitionskostenschätzung vor, eine Energie- und CO2-Bilanz für die Errichtung liegt hierfür jedoch nicht vor. Dies ist aus Sicht der Fraktion der Härtenliste, genauso notwendig, wie die Aufstellung einer Finanzplanung, um die Konsequenzen umfänglicher beurteilen zu können.
Mit diesen Forderungen sehen wir uns in Übereinstimmung mit der neu ausgerichteten Nachhaltigkeitsstrategie der aktuellen Landesregierung von Baden – Württemberg. Deren Ziel ist es, Nachhaltigkeit zu einem zentralen Kriterium politischer Entscheidung zu machen. Das Nachhaltigkeitsbüro LUBW bietet mit seiner Mustervorlage eines kommunalen Nachhaltigkeitschecks den Kommunen ein Instrument zur Einschätzung der Nachhaltigkeit kommunaler Vorhaben an. Dieses Instrument sollten wir zukünftig nutzen.
Die heutige Praxis der Aufstellung eines Haushaltsplans muss zwingend um eine Energie- und CO2-Planung erweitert werden. Wenn wir dies so machen, kostet es uns soundso viel und wenn wir das anders machen, dann kostet uns das soundso viel. Damit geht jeder tagtäglich um. Die gleiche Routine brauchen wir, wenn es um die Kosten für Umwelt und Klima geht. Es ist uns bewusst, dass dies nicht von heute auf morgen, für alle Entscheidungen im Detail, umgesetzt werden kann. Nichtsdestotrotz müssen wir umgehend die ersten Schritte in die Richtung Klimafolgenabschätzung gehen. Hierzu bieten sich die anstehenden Investitionsprojekte Neubau Feuerwehrhaus Kusterdingen, Neubau Kindergarten und Neubau Kindergarten südl. der B28 als kommunale Großprojekte exemplarisch an. Wann, wenn nicht jetzt.
3. Über erneuerbare Energie sprechen in Zeiten des Krieges –
Ist das möglich? Und wie kann es aussehen?
Jahrzehntelang wurde die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern kleingeredet oder ignoriert und der Ausstieg aus Kohle, Gas und Öl als illusionäres Grünes Projekt blockiert. Innerhalb von wenigen Tagen nur hat der Ausbau der erneuerbaren Energien, der uns in die Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern führt, durch Russlands Einmarsch in die Ukraine nun noch mehr Dringlichkeit bekommen. „Die Transformation zur Klimaneutralität ist jetzt auch zu einem zentralen Baustein in der Sicherheitsarchitektur und der europäischen Souveränität geworden“ so Simon Müller AGORA Energiewende
Die zentrale Versorgung über große Energielieferanten macht uns abhängig von deren Profitinteressen. Dezentrale Energieversorgung in Bürgerhand wäre ein solcher Ausweg aus der Abhängigkeit. Eine zu realisierende Windkraftanlage auf den Härten muss gemeinsam durch die Kommune und Bürgerhand finanziert werden und nicht durch Großinvestoren.
Gesetze müssen regenerative Eigenenergieversorgung von Kommunen und Haushalten befördern und nicht verhindern.
Hier werden auch in Kusterdingen in den nächsten Jahren große Anstrengungen zu leisten sein. Entscheidend wird sein, wie wir den dezentralen Ausbau von Fotovoltaik- und Windkraftanlagen mit den Bürger*innen gemeinsam gestalten können. Hier ist es unserer Meinung nach wichtig, die bestehenden Agendagruppen frühzeitig mit einzubeziehen.
Ein großer Teil des Energieverbrauchs fällt für die Gebäudewärme an. Besonders in schlecht isolierten Häusern ist das ein echtes Problem. Wir verbrennen noch Öl und Gas, und die Wärme, die dabei entsteht, geht zu großen Teilen wieder zum Fenster raus. Was liegt da näher, als die energetische Sanierung von Gebäuden und den Austausch alter Heizungen dringlich zu beschleunigen und bessere Standards einzuführen. Wie gut, dass der Gemeinderat im März 2021 bereits die Verwaltung beauftragt hat ein Sanierungsmanagment für ein erstes Quartier in Kusterdingen mit einem Quartierskonzept zu etablieren. In weiteren Quartieren – insbesondere in den Teilorten – sollen peu à peu grundlegende Konzepte folgen.
4. Gemeinschaft – Hoffnung durch Handeln –
dem Chaos standhalten, ohne verrückt zu werden. *
Fragen sie Menschen im Ahrtal oder in der Talstraße, Menschen die am 23. Juni 2021 vom Hagelunwetter in Kusterdingen oder von anderen Katastrophen heimgesucht wurden.
Bei allem Unglück und Verlust sind die tief greifenden Erfahrungen die, dass die Menschen in dieser Stunde Solidarität und Unterstützung von anderen erfahren haben.
Alle waren froh und dankbar, dass es viele helfende Hände gab, die ihnen zur Seite standen. Dabei wurde wieder einmal deutlich wie wichtig unter anderem eine funktionierende freiwillige Feuerwehr und die Ersthelfer des „Roten Kreuzes“ sind. Wir danken den Feuerwehren und den Helfern des „Roten Kreuzes“ auf den Härten, für ihren verlässlichen Einsatz und möchten die Härtenbewohner:innen bitten, unterstützen Sie diese wichtigen Institutionen bei ihrer Arbeit und denken sie auch darüber nach, Teil davon zu werden. An dieser Stelle sei auch das Corona – Testzentrum erwähnt und an den intensiven Einsatz des Kusterdinger Roten Kreuzes erinnert.
Und, eine solidarische Kommune braucht Menschen, die den Artikel 15 des Grundgesetzes „Eigentum verpflichtet“ nicht als leere Phrase verstehen. Deshalb sollte die Verwaltung noch viel stärker als bisher versuchen, diejenigen die über leerstehenden Wohnraum verfügen, zu überzeugen versuchen, dass sie vermieten. Dies erscheint uns auch nötig, angesichts der zu erwartenden Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die wir in unserer Gemeinde würdevoll aufnehmen wollen. Wenn Wohnraum gesichert ist, werden sich Bürgerinnen und Bürger wie schon 2015 um vieles andere kümmern können.
Eine solidarische Kommune braucht Menschen, die sich gestaltend einbringen und gemeinsam eine lebenswerte Zukunft für die nächsten Generationen schaffen wollen.
In der Vergangenheit hat sich bereits gezeigt, dass wir eine Gemeinde mit vielen kreativen Menschen sind. Wir sind seit einigen Jahren auf dem Weg, eine sorgende Gemeinschaft zu werden – leider durch Corona ausgebremst – eine Gemeinschaft, in der Nachbarschaft und Solidarität Worte sind, die wir mit Leben füllen. Die Anlaufstelle für Bürgerschaftliches Engagement SABE ist hier als ein wesentlicher Baustein zu nennen, wenn es darum geht, Unterstützungsstrukturen und Netzwerke, aufzubauen.
Letztendlich weiß keiner, wohin gegenwärtig die Reise geht, wie lange sie dauert, was sie uns kostet und was noch alles auf uns zukommt. Sicher ist, dass unsere Chancen sich nur verbessern werden, wenn wir uns gegenseitig unterstützen, Mut zusprechen, gemeinsam nach gangbaren Wegen suchen.
Es muss das Anliegen des Gemeinderates und der Verwaltung sein, die Bürgerinnen und Bürger einzubeziehen, sie zu ermächtigen, ermutigen und zu unterstützen mit klarem Geist und aus einem friedvollen Herzen heraus, handeln zu können.
Auch wenn wir nicht wissen, was uns die Zukunft noch in diesem Jahr bringen wird und was wir wie umsetzen können, stimmen wir von der Härtenliste dem vorliegenden Haushalt zu, weil die Richtung überwiegend stimmt.
Gudrun Witte-Borst
Wolfgang Borchert war ein deutscher Schriftsteller. Sein schmales Werk von Kurzgeschichten, Gedichten und einem Theaterstück machte Borchert nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem der bekanntesten Autoren der Trümmerliteratur. Sein Publikumserfolg setzte vor allem postum ein, beginnend mit der Theateruraufführung von Draußen vor der Tür am 21. November 1947, einen Tag nach seinem Tod.
Wikipedia Wolfgang Borchert: 20.05.1921 – 20.11.1947
Denkfabrik und Lobby-Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, nach mehrheitsfähigen Kompromiss-Lösungen beim Umbau des Stromsektors innerhalb der Energiewende zu suchen. Der Name Agora nimmt Bezug auf den gleichnamigen griechischen Versammlungsplatz.
AGORA Energiewende
Joanna Macy: 02.05.1929* Umweltaktivistin, Philosophin, Autorin , „Hoffnung durch Handeln – den Chaos standhalten, ohne verrückt zu werden“ Junfermann Verlag 2014