Haushaltsrede 2023 von Gudrun Witte-Borst

Kusterdingen den 12.7.2023

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Soltau,
liebe Kolleginnen und Kollegen Gemeinderäte,
liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger

Die Welt kann verändert werden. Zukunft ist kein Schicksal

Robert Jungk

In dieser vorletzten Sitzung vor der Sommerpause 2023 sind wir heute am 12.7. zur Haushaltsberatung zusammengekommen, um am Ende den Haushaltsplan für 2023 zu verabschieden. Der Bürgermeister Dr. Soltau, ist bereits wie immer differenziert auf das Zahlenwerk des Haushaltes eingegangen und hat besonders die Schuldenentwicklung dargestellt.

Der Kämmerei, Frau Hahn und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, gilt unser Dank, dass sie uns in dieser krisenhaften Zeit, unter erschwerten Bedingungen, einen Haushaltsplan vorgelegt haben. Sie haben sich die Übernahme der Kämmerei von Frau Durst-Nerz und ihren Einstieg bestimmt ganz anders vorgestellt. Sicher war ihre Absicht nicht, dem Gemeinderat noch viele unangenehme Entscheidungen abzuverlangen.

Nach unserem Verständnis ist ein Haushaltsplan keine Einkaufsliste, auf die man beliebig aufnehmen oder aus der man streichen kann, wenn die Kassen klamm sind. Ein HH-Plan spiegelt nicht nur die finanzielle Situation der Gemeinde wider. Gerade die Ausgabenseite sagt etwas darüber aus, welche Probleme wir wahrnehmen und behandeln wollen und welche Werte uns leiten. Das soll im Folgenden dargelegt werden:

Das vierte Jahr im Krisenmodus – Multiple Krisen

Mit diesem Haushaltsplan gehen wir auch in Kusterdingen in das 4. Jahr einer krisenge­schüttelten Welt. Waren die Haushaltspläne für die Jahre 2020 u. 2021   von der Corona-Pandemie, mit all ihren bekannten Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Gemeinde, geprägt, schien Ende 2021  Hoffnung aufzukeimen, dass wir diese Corona Herausforderung überwunden haben. Das Jahr 2021 endete – trotz der Verteuerung des Feuerwehrbaus – mit positiven Vorhersagen und Berechnungen für die Zukunft.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022, der die Ukraine zerstört und täglich unendlich viel Leid und Tod für die Menschen in der Ukraine bringt, zerstörte nicht nur  diese Hoffnung. Dieser Angriffskrieg wirkt sich auf die Weltwirtschaft aus und reicht zuletzt auch in unseren Haushaltsplan hinein. Da sind die gestiegenen Strom- und Gaspreise zu nennen, der Rückgang der Gewerbesteuereinnahmen der Anstieg der Zinsen, die Inflation, die Unterbringung von Geflüchteten u.a.m..

Und wäre das Desaster nicht schon groß genug, belasten den Haushalt zwei nicht vorhergesehene Sanierungsnahmen von ortsbildprägenden öffentlichen Gebäuden – Klosterhof, Altes Rathaus – mit zusätzlich 1,5 Millionen €.

Unser Haushalt weist erstmals seit vielen Jahren eine Schuldenaufnahme auf. Der Kreditbedarf von über 10 Mio. EUR erschreckt zunächst. Verwaltung und Gemeinderat sind diesen Weg aber bewusst gegangen, um die nötigen Investitionen für kommende Generationen tätigen zu können, vor allem das Feuerwehrhaus und das neue Kinderhaus. Die Aufnahme von Fremdkapital für solche Investitionen ist ein normaler Vorgang, den wir aus dem beruflichen und privaten Bereich auch kennen. Kusterdingen hat in der Vergangenheit Mittel in Höhe von 10 Mio. EUR ansparen können und wird in den nächsten Jahren auch in der Lage sein, die Kreditaufnahme wieder zu tilgen. Der positive Trend in der Vorschau des Ergebnishaushalts bestätigt diese optimistische Sicht.

Dennoch ist die Situation herausfordernd und es kommt einem schon ein Filmtitel von 2004 in den Sinn: “Die fetten Jahre sind vorbei“ – und einige werden denken; `wir werden jetzt nur noch die Pflichtaufgaben der Kommunalpolitik abarbeiten und ansonsten ein Sparprogramm auflegen`. Doch was heißt das, die Pflichtaufgaben der Kommunalpolitik erfüllen? 

Klimaschutz als kommunale Daseinsvorsorge

In der HH-Rede von 2022 haben wir darauf hingewiesen, dass der Begriff der „kommunal­en Daseinsvorsorge“ neu zu denken, zu definieren ist und alle Anstrengungen zum Klimaschutz als „kommunale Daseinsvorsorge“ anzusehen sind.

Als gelungenes Beispiel soll das Integrierte energetischen Quartierskonzepts für das Gebiet Kusterdingen-Nord dienen.

Im letzten Jahr ist die Kommune mit dem Beschluss zur Durchführung des integrierten energetischen Quartierskonzepts für das Gebiet Kusterdingen-Nord, einen Schritt weiter vorangekommen auf einen Weg kommunaler Klimaschutzanstrengungen. Die Konzepterstellung, die zu 75% der Kosten durch die KfW gefördert wird, wurde von der EnergieEffizienz GmbH begleitet. In der Abschlussveranstaltung 15.6.2023 stellte die EnergieEffizienz GmbH einen Maßnahmenkatalog vor, mit welchen Handlungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene der Klimakrise begegnet werden kann. Dieses Projekt machte zudem in beeindruckender Weise deutlich, wie auch in Kusterdingen gelingende Bürgerbeteiligung aussehen kann, nämlich, wenn die kommunale Verwaltung, engagierte Bürger*innen, Mitglieder aus der Agendagruppe Klimaschutz Härten und die EnergieEffizienz GmbH zusammenarbeiten. Gerade einmal zwei Jahre besteht die Agendagruppe Klimaschutz Härten und ist in Sachen Klimaschutz ein wichtiger Partner, wenn es darum geht kommunale Lösungen zu finden, für Projekte zu werben und Bürger*innen einzubeziehen.

Mit der Prüfung eines Nahwärmekonzepts mit Bürgerbeteiligung für das Quartier Kusterdingen Nord zeigt die Gemeinde ebenfalls wie Klimaschutz und kommunale Daseinsvorsorge konkret zusammengehen könnten. Im Gegensatz zu individuellen Heizsystemen für jedes Gebäude werden bei Quartiersnahwärmekonzepten mehrere Gebäude oder Einheiten zentral mit Wärme versorgt. Diese Konzepte haben das Potenzial, besonders ressourcen­schonend und energieeffizient zu sein.

Das Quartierskonzept Kusterdingen-Nord war aus unserer Sicht ein erfolgreicher Aufbruch für Kusterdingen. Es war eine erste Maßnahme durch die nun viele weitere schon begonnen wurden oder beginnen werden, wie die folgenden Beispiele zeigen:

  • Eine öffentlich geförderte Stelle, die Bürgern und Gemeinde bei der Umsetzung der energetischen Maßnahmen unterstützt.
  • die Beantragung weiterer geförderter Projekte für Quartiersentwicklung in den Teilorten von Kusterdingen
  • Die Beantragung auf Aufnahme in das Landesförderprogramm
  • und auch die Erstellung eines kommunalen Wärmekonzeptes, wie es nun voraussichtlich im Gebäudeenergiegesetz gefordert wird.

Hier ist Kusterdingen durch das Quartierskonzept schon unterwegs und ganz vorne mit dabei! Kürzen wäre hier das falsche Signal. Als weitere wichtige Aspekte solcher Gemeinschaftslösungen wären die regionale Wertschöpfung zu nennen und dass über eine Bürgerbeteiligung auch eine Identifikation mit der Kommune gefördert werden kann. Nachbarkommunen zeigen bereits, dass die Umsetzung durch lokale und regionale Firmen erfolgen kann und eine unbürokratische Abwicklung und Lösungsfindung ermöglicht würde. Wer möchte hier den Rotstift ansetzen?

Die Klimakrise, der Krieg gegen die Ukraine und eine Energiestrategie

Des Weiteren hat das Jahr 2022 uns allen sehr schmerzhaft vor Augen geführt, was es bedeutet – nicht nur – in der Energiefrage abhängig – z.B. von Russland – zu sein und was passiert, wenn Lieferketten zusammenbrechen. Schnell wurde klar, dass es unumgänglich ist, dass auch kleinere Kommunen verstärkt nach Konzepten einer weitestgehend unabhängigen, ressourcenschonenden und verantwortungsvollen Energiegewinnung suchen sollten.

Die neue Herausforderung besteht darin, dass Gemeinden auch das Thema Infrastruktur­maßnahmen neu denken und Windkraftanlagen, Photovoltaik Anlagen, Biogas und u.a.m. nach den örtlichen Gegebenheiten zu einer Energiestrategie kombinieren müssen.

Jetzt zeigt sich, dass die Kommunen, die sich bereits vor 10 Jahren auf den Weg gemacht haben und Energiewende und Energieautarkie vertreten haben, im Vorteil sind. Sie zeigen uns, dass und welche Konzepte einer kommunalen Energiewende gelingen können, wenn die Bürgerinnen und Bürger mit einbezogen und auch über Genossenschaftsmodelle mit beteiligt werden. „Miteinander geht’s besser als gegeneinander“. Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass so ein gemeinsamer Weg viel Überzeugungsarbeit bedarf und auch Kosten verursacht, u.E. lohnt es sich aber. Und wir wissen aus Erfahrungen, dass Entscheidungen, die über die Köpfe der Menschen hinweg getroffen werden, eher den Widerstandsgeist mobilisieren, statt eine gemeinsame Lösungsfindung. Das sollten wir auch bei zukünftigen Planungen berück­sic­htigen.

Selbstverständlich muss Kusterdingen dabei sein eigenes Modell finden, doch an dieser Stelle gilt, abschauen was andere Kommunen bereits vorgemacht haben. Voneinander und miteinander lernen ist nicht verboten sondern erwünscht. Ganz im Sinne einer Kommune, die sich als `lernende  Organisation` begreift. Eine lernende Kommune erkennt den Wert der Bürgerbeteiligung und des Dialogs mit der Gemeinschaft. Sie ermutigt die Bürgerinnen und Bürger, sich aktiv einzubringen, Ideen einzubringen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln

Der N!Check, zwar kein Allheilmittel, aber ein gutes Werkzeug

Der Haushaltsplan ist demnach in Zahlen ausgedrückte Kommunalpolitik und erschöpft sich u.E. nicht allein im Straßenbau, Bau von Schulen, Kindergärten und einem Feuerwehrhaus.

Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wie bauen und gestalten wir die Zukunft.  

Maßnahmen, die vor Ort das Arten- und Insektensterben aufhalten und dafür Sorge tragen, dass die nächsten 7 Generationen ein Kusterdingen vorfinden, in dem sie gut leben können und nicht nur überleben, sind aus dieser Sicht Bestandteile kommunaler Daseinsvorsorge. 

Ein hilfreiches Instrument bei der Entscheidungsfindung kann der N!Check darstellen. Der N!Check – Nachhaltigkeit Check – ist ein dialog-orientiertes Instrument, mit dem wir kommunale Vorhaben  z.B. geplante Projekte, Konzepte und Maßnahmen, sowie einzelne Maßnahmen und Projekte aus Dorfentwicklungskonzepten, ihre Rahmenbedingungen und Fernwirkungen, einschätzen können. Eine fachübergreifende Bearbeitung in der Verwaltung und die ganzheitliche Sichtweise im Gemeinderat ermöglichen verschiedene Blickwinkel und integrative Lösungsansätze. Die Dokumentation der Argumente macht eine Entscheidung auch für die Bürger*innen nachvollziehbar. Auch können wir überprüfen: Das haben wir uns dabei gedacht und was wurde daraus?

In diesem Sinne fördert der N!Check systemisches Denken,  indem die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Bereichen wie Politik, Verwaltung, Umwelt, Wirtschaft und sozialen Aspekten berücksichtigt werden und komplexe Probleme besser verstanden und nachhaltige Lösungen entwickeln werden können. Und führt so zu mehr Akzeptanz in der Bürgerschaft.

Ökologische Wende und Fahrradwege erhöhen die Lebensqualität und Sicherheit

Für die Härtenliste wird im Jahr 2023 / 2024 ein wichtiges Politikfeld sein, eine klimafreundliche und gerechte Mobilität weiter zu fördern. Es fällt auf, dass die Bedürfnisse der Kinder, Jugendlichen und Familien bei der Gestaltung der Mobilität noch zu wenig Beachtung finden. Das bestehende Verkehrssystem braucht nicht nur eine ökologische sondern auch sozial gerechte Umgestaltung. Sichere und barrierefreie Verbindungswege zu Kindergärten, Schulen und Freizeitein­richtungen, ermöglichen ein Aufwachsen mit umweltverträglichen Fortbewegungsmitteln und die individuelle Freiheit vom Muttertaxi. Diese Verkehrswende wird durch das Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz mit hohen Förderquoten gefördert. Und natürlich wollen wir diese Strategie mit den Bürger*innen, der Agendagruppe Mobilität und mit den Kindern und Jugendlichen gemeinsam entwickeln.

Jugendarbeit in Kusterdingen

Mit den Ergebnissen der Jugendarbeit in den vergangenen Jahren kann man durchaus unzufrieden sein. Daraus zu schließen, man könne hier sparen, wäre aber völlig falsch. Mit engagierter Jugendarbeit kann so viel erreicht werden, auch in Kusterdingen gab es hier schon sehr positive Erfahrungen. Gute Jugendarbeit bezieht Jugend in die Gemeinschaft und Gemeindearbeit ein, man denke an Projektgruppen die konkrete Projekte für die Jugend vorantreiben (eine Skateranlage wurde schon einmal vorgeschlagen), sie könnte Mitgestaltung und Demokratieförderung in der Gemeinde befördern, z.B. über eine bottom-up Initiative für einen Jugendgemeinderat, sie trägt zu Ferienprogrammen bei und vieles mehr. Durch eine gute Zusammenarbeit mit den Vereinen kann die Sichtbarkeit und Wirksamkeit weiter gesteigert werden.

Das alles zusammen – und noch mehr – sind für uns die Grundlagen / das Fundament dieses Haushaltsplanes und auf dieser Grundlage müssen wir gemeinsam schauen, was wir für verzichtbar halten und welche Auswirkungen dieser Verzicht hat.

Bei allen Unterschieden im Gemeinderat denken wir, es muss Einigkeit darüber bestehen, das wir den ökologischen Wandel brauchen und das er sozial sein muss.

In diesem Sinne ist Zukunft kein Schicksalsschlag

Zukunft ist kein Schicksal, sondern das Heute ist die Folge (auch) der (Fehl-) Entscheidungen, die wir gestern getroffen haben. Und die Entscheidungen von heute bestimmen die Zukunft, ob wir rechtzeitig die Weichen stellen für eine lebenswerte Welt, nicht nur in Kusterdingen.   

Ich bedanke mich für ihre Aufmerksamkeit

Gudrun Witte-Borst

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