Ein Mitglied der Fraktion HL schreibt zum Thema Windräder im Großholz

Im Süden Deutschlands gehen die Wogen hoch, wenn das Thema Windräder auf der Tagesordnung steht. Immer mal wieder waren Windkraftanlagen in den vergangenen Jahren auch in kommunalen Überlegungen Kusterdingens zum Thema Energiegewinnung aufgetaucht, sind aber dann ebenso schnell wieder in der Versenkung verschwunden.

Profitabilität war angesichts der technischen Voraussetzungen und den vorhandenen Berechnungen zum Windaufkommen an den wenigen in Frage kommenden Standorten nicht zu erwarten und deshalb waren auch keine ernstzunehmenden Investoren in Sicht.

Das hat sich jetzt für Kusterdingen entscheidend geändert. Die Stadtwerke Tübingen projektieren aktuell eine Windkraftanlage mit 3 Rotoren im Großholz. Teile der benötigten Flächen liegen auf Kusterdinger Gemarkung. Der Stadtrat Tübingen und der Kusterdinger Gemeinderat haben im Frühjahr 2023 dem Gestattungsvertrag mit den Stadtwerken Tübingen zugestimmt. Wenn also alle rechtlichen Vorgaben erfüllt sind, steht der baulichen Umsetzung der Anlage nichts mehr entgegen.

Die Fraktion des Vereins Härtenliste hatte sich bei der Abstimmung geschlossen für das Projekt ausgesprochen. Unsere Zustimmung möchte ich hier vorauseilend zu den kommenden Debatten, Infoveranstaltungen und Leserbriefschlachten noch einmal begründen.

Wir sind zu der Überzeugung gekommen, dass die Anlage einen wichtigen Beitrag zur Verringerung des CO2 Ausstoßes in der Region leisten wird.

Fraktion der Härtenliste im Gemeinderat

Es ist uns bewusst, dass die negativen Auswirkungen in Form von zerstörter Natur am Standort der Rotoren vor allem während der Bauzeit erheblich sein werden. Wir wissen aber auch, dass alle mittel-und langfristig schädlichen Auswirkungen auf Pflanzen und Tiere wie bei jedem Bauvorhaben in Form von verpflichtenden Gutachten detailliert untersucht werden. Von den Untersuchungsergebnissen wird dann die Baugenehmigung abhängig gemacht.

Die optische Erscheinung von Windrädern zu beurteilen ist unserer Meinung nach Ansichtssache. Man/frau kann sie als störend empfinden. Man/frau kann sie aber auch als elegante Monumente unserer Hightechgesellschaft in unserem Landschaftsbild willkommen heißen, so wie wir es in der Vergangenheit mit vielen Bauwerken getan haben. Die historische kleine Schwester, die Windmühle, mag zu ihrer Blütezeit manchen Menschen auch wie ein Ungetüm vorgekommen sein. Heute ziert sie als optisches Highlight Postkarten und Gemälde.

Mögliche Beeinträchtigungen durch Schlagschatten, Eis Wurf und Lärm sind ebenfalls baurechtlich geregelt. In unzähligen demokratisch geführten Debatten und rechtlichen Verfahren hat sich bis heute ein Regelwerk herausgebildet, welches nach meiner Überzeugung den Umständen weitgehende gerecht wird.

Jeder Standort hat aber seinen eigenen Charakter, seine natürlichen Besonderheiten und selbstverständlich „seine eigenen Betroffenen“, von denen sich viele in den nächsten Wochen zu Wort melden werden.

Und alle haben ein Recht gehört zu werden, wenn sie sich, wie ich es hier tue, ganz direkt zum Vorhaben Großholz äußern. Manche mögen vielleicht der Meinung sein, dass eine Entscheidung des Gemeinderats allein, in einer so wichtigen Angelegenheit nicht ausreichend demokratisch genannt werden kann.

Es ist aber nicht der Gemeinderat allein. Es sind unsere Baubehörden, unsere Umweltbehörden und unsere Wasserschutzämter und Gesundheitsbehörden, die alle gemeinsam über derartige Projekte entscheiden.

Und jeder, der Fakten kennt, die zur Einstellung des Vorhabens geeignet sind, soll und kann dies zu jedem Zeitpunkt anzeigen.
Ein paar Fakten zur Versachlichung der kommenden Diskussionen:

  • Größe der Anlage: Die Rotoren haben einen Durchmesser von 172 Metern. Die Nabenhöhe soll bei zwei Rädern 175 Meter und bei einem Rad 199 Meter betragen. Ziel ist ein gleichmäßiges Höhenbild. Ab Fundament ergibt sich dann z.B. 199 +86 = 285m. Den für windschwache Standorte geeignete hier zum Einsatz kommenden Typ V172 kann man z.B. an einem der modernsten Windparks Baden-Württembergs besichtigen. Dort mit Nabenhöhen zwischen 150 und 166 Metern.
  • Standortentscheidung: Die Windaufkommen machen den Standort wirtschaftlich interessant. Die Entscheidung wurde außerdem beeinflusst durch die Nähe zur B28 und die Nähe zur Erddeponie. Gespräche mit Behörden und Naturschutzverbänden stützen die Entscheidung.
  • Sicherheitsabstand: Der Abstand zu Wohngebieten beträgt mindestens 700 Meter. Tatsächlich werden es aber bei jedem Rad deutlich mehr sein. Exakte Angaben gibt es dazu allerdings erst, wenn die Bodengutachten gemacht sind. Von den Bodengutachten wird es auch abhängen, wie die Fundamente ausgeführt werden.
  • Energieeffizienz: Schon nach drei bis sieben Monaten hat eine Windenergieanlage den Strom produziert, der für ihre Herstellung benötigt wurde. Während ihrer Laufzeit von 20 Jahren erzeugt sie gut 40- bis 70-mal so viel Energie, wie für ihre Herstellung, Nutzung und Entsorgung eingesetzt wird. Rechnet man die Wiederverwertung der Materialien in die Ökobilanz mit ein, erzeugt eine Anlage sogar bis zu 90-mal mehr Energie. Keine andere Anlage zur Stromerzeugung hat sich bereits nach so kurzer Zeit energetisch amortisiert. Jährlich soll die Anlage den Stromverbrauch von 2500 durchschnittlichen Haushalten produzieren.
  • Immobilienpreise: Nach Einschätzung der EBZ Business School in Bochum ist ein negativer Einfluss von Windenergieanlagen auf die Entwicklung von Immobilienpreisen nicht belegbar.
  • Flächenverbrauch: Generell ist der Flächenverbrauch einer modernen Windenergieanlage gering. In Abhängigkeit vom Anlagentyp und der Standortbeschaffenheit beträgt dieser bei einer typischen 4-Megawatt-Anlage, wie sie derzeit geplant und gebaut wird, zwischen 0,5 und einem Hektar, wobei nur ein Teil dieser Fläche für den Betriebszeitraum von 20 Jahren tatsächlich Baum freigehalten wird. Temporär genutzte Bereiche, wie zum Beispiel Lagerflächen, werden nach Abschluss der Bauphase wieder aufgeforstet und die Freifläche um das Fundament und die Kranstellfläche können mit Schotterrasen begrünt werden. Schon bei der Planung eines Windparks werden Maßnahmen vorgesehen, um den Eingriff in die Natur bei der Errichtung der Windenergie-Anlagen gering zu halten. So werden beispielsweise ökologisch weniger wertvolle Fichtenwälder bevorzugt, um den Bestand an wertvollen alten Laubbäumen (Eiche, Buche, etc.) zu schützen.
  • Rückbau: Der vollständige Rückbau ist Teil der Genehmigung. Er wird über eine hinterlegte Bankbürgschaft vor Baubeginn abgesichert. Die Höhe der Bürgschaft ist landesspezifisch geregelt und wird von der Genehmigungsbehörde festgesetzt. Die Bürgschaft sichert den Rückbau im Falle einer Insolvenz des Betreibers ab. Dieser Fall tritt sehr selten ein, da die finanzierenden Banken üblicherweise ein sehr hohes Interesse am Weiterbetrieb der Anlagen haben, schließlich ist der Großteil von den Banken finanziert. Heutzutage haben Windenergie-Anlagen nach Betriebsende meist noch einen so hohen Restwert (Weiterbetrieb im Ausland), dass die Bürgschaft, selbst im Falle einer Insolvenz, nicht zwangsläufig fällig wird. Die Stadtwerke Tübingen sichern zu, die Windräder nach der Betriebsphase zurückzubauen. Dazu gehören neben den Windenergie-Anlagen auch die Fundamente, die Kabel und die Wege. Letztere bleiben nach Abstimmung mit Behörden und Grundstückseigentümer oftmals bestehen und können weiter genutzt werden.
  • Gefährdung von Insekten: “Es wäre völlig an den Haaren herbeigezogen, eine nennenswerte Gefährdung von Insektenpopulationen durch Windräder abzuleiten”, sagt Lars Lachmann vom Nabu. Allein in deutschen Wäldern würden jährlich 400.000 Tonnen Insekten von Vögeln gefressen. Zwar fliegen Insekten in den warmen Monaten und in Zeiten der Migration zu neuen Brut- und Nahrungsplätzen auch in größeren Höhen. Die meiste Zeit halten sie sich aber in bodennahen Regionen auf – und damit unterhalb der Rotoren von Windenergieanlagen. Es zeigt sich zudem, dass der Insektenrückgang eine weltweit feststellbare Entwicklung ist, auch in Regionen, in denen keine oder kaum Windräder stehen. Ein Gefahrenzusammenhang zwischen Windrädern und Insektenschwund wird daher häufig überschätzt. Als größten Treiber des Insektenschwundes identifizierten Forscher stattdessen den Verlust des Lebensraumes durch die intensive Landwirtschaft und das Ausbringen von Pestiziden.
  • Infraschall: Tieffrequente Geräusche und Infraschall (Körperschall) sind bei Windenergieanlagen messtechnisch nachweisbar, aber für den Menschen nicht hörbar. Die Frequenzen bei Infraschall liegen unterhalb der durch das menschliche Ohr wahrnehmbaren Frequenzen von 16 Hz. Der menschliche Hörbereich liegt zwischen 16 Hz – 20.000 Hz. Frequenzen darüber werden als Ultraschall bezeichnet. Infraschall ist in unserem Alltag gegenwärtig: Natürliche Quellen sind Gewitter, Wasserfälle und Meeresbrandung u.a. Technische Quellen in unserem Alltag sind Straßenverkehr, im Pkw selbst, Flugzeuge, Kühlschränke, Klimaanlagen, Industriearbeitsplätze etc. Durch die gesetzlichen Abstände zwischen Windrädern und Wohnbebauung bleibt der von den Anlagen erzeugte Infraschall deutlich unter der Hör- und Wahrnehmungsschwelle des Menschen. Mehrere Studien, unter anderem Langzeitstudien der Landesämter für Gesundheit Bayern und Baden-Württemberg belegen, dass keine gesundheitlichen Belastungen zu erwarten sind. Weit höheren Infraschallwerten setzen wir uns tagtäglich vollkommen freiwillig aus: Die Messwerte im Innenraum eines mit 130 km/h fahrenden Mittelklasse Pkw übersteigen die einer Windenergieanlage um ein Vielfaches. Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit sind auch nach derzeitigem internationalem Kenntnisstand daher nicht plausibel.
  • Gefahr für Vögel: Bei der Wahl von Standorten für Windenergieanlagen werden bedeutende Schutz- und Rastgebiete von Vögeln berücksichtigt. Das garantieren mehrmonatige naturschutzrechtliche Untersuchungen. Diese beinhalten zum Beispiel auch die Analyse der Raumnutzung sowie die Flugbewegungen der am Standort vorkommenden windkraftsensiblen Arten. Im Genehmigungsverfahren für Windparks müssen diese Fachgutachten eingereicht und von den zuständigen Naturschutzbehörden intensiv geprüft werden. Grundsätzlich wird bei jeder Standortplanung geprüft, ob windkraftrelevante Tierarten, wie Zug- und Brutvögel, Fledermäuse, Wildkatzen und Haselmäuse, vorkommen. Dabei wird sowohl Bezug genommen auf vorhandene Verbreitungs- und Artvorkommensdaten der Fachbehörden als auch auf die leitfadenkonformen Kartierungen und Gutachten. Kommt das Gutachten zu dem Schluss, dass erhebliche Beeinträchtigung z. B. für brütende oder ziehende Vögel besteht, werden die Windenergieanlagen nicht genehmigt oder sie müssen, wenn dies möglich ist, zum Beispiel zeitweise abgeschaltet werden. Die Praxis zeigt, dass die Kollisionsgefahr sehr gering ist. Die Rotoren der heute gebauten Anlagen drehen sich zudem weit langsamer und meist über den üblichen Flughöhen von Brutvögeln. Zugvogelarten halten meist mehr Abstand zu den Windrädern, werden jedoch nicht vertrieben.
  • Lärm: Der Bau von Windenergieanlagen ist an die sehr strengen Anforderungen der TA-Lärm gebunden. In Gutachten muss nachgewiesen werden, dass diese Anforderungen eingehalten werden (Berechnung nach dem Interimsverfahren). Die Schallgutachten sind unter anderem Grundlage dafür, ob ein Windpark genehmigt werden kann. Grundsätzlich sind moderne Windenergieanlagen leiser als ihre Vorgänger aus der Pionierzeit der Windenergie. Sie sind besser schallgedämmt und besitzen schalltechnisch optimierte Rotorblattformen. Schon in wenigen 100 Metern Entfernung ist das durch die Rotorblätter hervorgerufene gleichmäßige Rauschen kaum noch wahrnehmbar. Zudem überlagern Umgebungsgeräusche – Bäume und Büsche, Straßenlärm und andere Alltagsgeräusche – die Geräuschentwicklung von Windenergieanlagen erheblich.
  • Finanzen: Bewusst habe ich das Thema der nicht unerheblichen Pacht- und Gewerbesteuereinnahmen für die Gemeinde ganz nach hinten gerückt. Schaden an Menschen und Natur lässt sich ja nicht wirklich in Geldwert ausgleichen. Unter der Prämisse aber, dass das Schaden-Nutzen-Verhältnis deutlich zum Nutzen tendiert, sind kann man/frau die Einnahmen für unsere Gemeinde auch als Sahnehäubchen betrachten. Auch sind Bürger(innen) aufgefordert, sich bei den Stadtwerken über die Möglichkeiten einer finanziellen Beteiligung zu informieren.

Ich hoffe, dass diese Erläuterungen im Vorfeld der kommenden Infoveranstaltungen zu einer Versachlichung der Diskussionen beitragen werden.

Und ich hoffe, dass ich mit meinen Erläuterungen die Haltung der HL-Fraktion zum Projekt Windenergieanlage Großholz transparent machen konnte.

Johannes Ferber, GR Kusterdingen, OR Mähringen

2 thoughts on “Ein Mitglied der Fraktion HL schreibt zum Thema Windräder im Großholz

  1. bei der kürzlichen veranstaltung zum thema im feuerwehrhaus wankheim wurde die HL ausdrücklich vermißt….
    sie haben ein buch in grosser auflage verkauft, das in etlichen beiträgen verschiedener autoren einen größeren blickwinkel einnimmt als die frage nach CO²-armem strom. ich habe viel gelernt durch die lektüre, was in der EE-debatte meist unter den tisch fällt. wärmstens empfehle ich daher:
    Georg Etscheit (Hrsg.)
    GEOPFERTE LANDSCHAFTEN
    wie die energiewende unsere umwelt zerstört

  2. Ein Kommentar zum empfohlenen Buch ‘Geopferte Landschaften’: dies ist keine ausgewogene Quelle. Ein Rezension dieses Buches gibt es hier: https://tinyurl.com/5btbrh8z
    Das Fazit: ‘Wer sich dafür interessiert, welche Argumente Windkraftgegner haben und worüber sie sich echauffieren, wird mit diesem Buch eine umfangreiche und gut lesbare Informationsquelle erhalten; wer jedoch ein objektives, zugleich aber verständliches Buch zum Thema Erneuerbare Energien oder Windkraft lesen möchte, ist mit einem anderen Buch wohl besser beraten.’

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