Haushaltsrede Gudrun vom 24.02.2021

Meiner Haushaltsrede für 2021 möchte ich ein Zitat von Albert Einstein voranstellen:

Die reinste Form des Wahnsinns ist, alles beim Alten zu lassen und zu hoffen, dass sich was ändert.

Kusterdingen den. 24.02.2021

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Soltau,
liebe Kolleginnen und Kollegen Gemeinderäte,
liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger

In dieser außergewöhnlichen Zeit sind wir heute zur Haushaltsberatung zusammengekommen, um anschließend den Haushaltsplan für 2021 zu verabschieden. Sowohl der Bürgermeister Dr. Soltau, als auch der Sprecher der Freien Wähler Vereinigung sind differenziert auf das Zahlenwerk des Haushaltes eingegangen. Ich glaube, sie verzeihen mir, wenn ich das nicht noch einmal wiederhole. Auch unser besonderer Dank gilt in diesem Corona Jahr der Kämmerei, Frau Durst-Nerz und ihren Mitarbeiter: innen. Sie haben uns einen vollbepackten Jahresplan nach der neuen Doppik erstellt, ihn in den Sitzungen dargelegt und Frau Durst-Nerz hat all unsere Fragen klar und ausführlich beantwortet.

Zeitenwende Corona- Pandemie

Seit März 2020 befinden wir uns im Corona-Modus: Die Verwaltung, der Gemeinderat und die Bürger:innen von Kusterdingen haben versucht, den Herausforderungen Corona-Pandemie so gut wie möglich, mit dem Handwerkszeug aus der Vor-Corona-Zeit, zu begegnen. Wir haben ersteinmal weiter unsere Agenda abgearbeitet – halt unter AHA Regeln. Und wir haben gelernt. Wir Mitglieder: innen des Gemeinderates und der Verwaltung haben neue Formen und Räume für unsere Sitzungen erprobt und zuletzt eine Hybrid Gemeinderatssitzung abgehalten, um die notwendigen Entscheidungen zu treffen, damit der reibungslose Ablauf der Verwaltung und ihrer Dienstleistungen für die Bürger:innen Kusterdingens gewährleistetet bleibt.

Ein Haushaltsplan ist eine Illusion

Ein Haushaltsplan ist eine Illusion im doppelten Sinne. Er gibt vor, er handelt von Ausgaben, Einnahmen und Schulden und er gibt vor, wir könnten die Zukunft kontrollieren, indem wir sie überplanen. Die Corona-Pandemie hat uns, auch in der Gemeindepolitik, vor Augen geführt, wie verletzlich unser Leben ist. Und gerade lernen wir, dass es schnell gehen kann, dass wir von den Verhältnissen im Außen gezwungen werden, unsere Prioritäten und unsere Lebensführung zu hinterfragen und zu verändern.

Im Folgenden möchte Ihnen veranschaulichen, dass sich hinter den Positionen unseres Haushaltes eine – nämlich unsere – Vision einer Zukunft verbirgt.

Und Ich möchte es noch mal betonen: wir entscheiden heute nicht in erster Linie über Geld, Kreditaufnahme oder Zuführungsraten und über Dinge wie Kindergärten, Feuerwehrhaus und Ortsmitten.

Nehmen wir das Beispiel des geplanten Neubaus der Kindertagesstätte an der Hölderlinstraße. 2021 sind 100.000,- € für die Planung eingestellt und für die Folgejahre bis 2024, für den Neubau, insgesamt 4 Millionen € bereitgestellt worden.

Dieser Neubau einer Kindertagesstätte basiert auf einer in die Zukunft reichende Vision, mit nur einer Unbekannten: wir errechneten zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Bedarf von Betreuungsplätzen – basierend auf einer Prognose über die Entwicklung der Kinderzahl. Zugleich glauben wir jedoch, dass sich die Welt nicht ändert, dass das Leben in Kusterdingen auch in den nächsten 20 – 30 Jahren so lebenswert sein wird, dass Menschen hier gerne leben, sich wohl fühlen, Familien gründen und Kinder bekommen. Unsere Planung dieses Gebäudes reicht in eine Zeit bis 2052, (bezogen auf die Abschreibung) also in die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts hinein. Können sie sich das wirklich vorstellen – Kusterdingen im Jahr 2052. Viele von Ihnen werden diese Zeit noch erleben, sie werden ihre Enkelkinder in diesen Kindergarten gehen sehen.

Aber- müssten wir uns nicht auch andere Fragen stellen: Wie wird das Leben der Enkel-Kinder sein, für die wir diesen Kindergarten bauen? Ganz konkret, wie wird der Klimawandel – von dem alle sprechen – ihr Leben beeinflussen? Wie wird unsere Erde, ganz konkret Kusterdingen, aussehen, wenn wir das Pariser Klimaziel verfehlt haben und ein Prozess in Gang kommt, der unumkehrbar ist?

Angesichts der Komplexität des Klimasystems mit seinen vielen Wechselwirkungen ist es naheliegend, dass sich Veränderungsprozesse nicht nur linear, sondern auch nichtlinear und damit chaotisch abspielen können. An Kipppunkten könnten die Dinge gleichsam ins Rutschen geraten. Seit Jahren warnen viele Wissenschaftler:innen und Umweltorganisationen vor dieser Entwicklung. Die Förster:innen und Biolog:innen warnen vor dem Arten- und Insektensterben. Fragen auch sie sich manchmal, wie eine Gemeinderatspolitik aussehen müsste, die das berücksichtigt? Oder hören sie gar nicht mehr hin, weil es so bedrohlich ist, und man ja hier in Kusterdingen doch nichts machen kann? Oder denken Sie, Gefühle gehören nicht in die politische Arbeit? Oder denken sie vielleicht, das hat doch mit Haushaltsberatungen nichts zu tun?

Angesichts dieser bedrohlichen Aussichten, müssten wir da nicht umdenken, ja neudenken? Und zum Beispiel den Begriff der kommunalpolitischen Daseinsvorsorge neu denken und ihn dann um den Klimaschutz erweitern?

Es ist unsere Verantwortung, und das meine ich konkret, den kommunalen Klimaschutz ernsthaft voran zu treiben, das Arten- und Insektensterben vor Ort aufzuhalten und dafür Sorge zu tragen, das die nächsten Generationen eine Erde vorfinden, auf der sie gut leben können und nicht nur überleben. Für die nächsten Generationen Sorge tragen ist mehr, als ihnen heute ein Haus bereitzustellen. (Verantwortung ist verbunden mit der Fähigkeit, den Gang der Dinge zu beeinflussen. Hans Jonas Prinzip Verantwortung).

Doch diese Sichtweise einzunehmen, erfordert Mut – vier Arten von Mut

  • Die eine Art von Mut besteht darin, genau hinzuschauen, die drohenden Gefahren nicht zu leugnen, die Gefühle von Schmerz, Angst und Verzagtheit über den Verlust der Welt, wie wir sie kennen, nicht wegzudrücken oder den Propagandisten von einfachen Lösungen zu überlassen.
  • Die zweite Art von Mut besteht darin, dass wir uns eine andere Zukunft vorstellen. Und ich lade sie hier und jetzt dazu ein, sich 1 Minute vorzustellen, wie diese andere, lebensbejahende Zukunft im Jahr 2052 aussehen könnte. Die Zukunft eines lebenswerten Lebens hier auf der Gemarkung Kusterdingen, in einer Gesellschaft der gegenseitigen Unterstützung und des gemeinsamen Sorgetragens. Wo Menschen durch die Corona Krise und die Klimakrise hindurchgegangen sind, indem sie sich gemeinsam die Fragen beantwortet haben: Was ist uns wesentlich? Wie wollen wir Solidarität leben? Wie weit reicht unsere Verantwortung? Und immer wieder, was schätzen wir Wert und wohin geben wir unsere Wertschätzung. Letztendlich, wie wollen wir gemeinsam zusammenleben?
  • Die dritte Art von Mut ist, aus all unserem Wissen, Erkennen, Erfahrungen die Konsequenzen zu ziehen und die Handlungen vorzubereiten, zu ermöglichen, zu vollziehen, von denen wir annehmen, dass sie notwendig sind – die Not (ab) wenden. Wenn alles möglich wäre, worauf kommt es jetzt an, was ist jetzt zu tun? – Stellen sie sich vor, im Jahre 2052 sitzen die uns nachfolgende Generationen zusammen und sprechen darüber, wie es zu dieser ihrer Lebenssituation kommen konnte. Ich wünsche mir, dass sie stolz auf uns – ihre Vorfahren – und auf unsere Entscheidungen sind.
  • Die vierte Art von Mut, ist das Mut machen durch unser Vorbild. Ob es uns bewusst ist oder nicht, wir sind Vorbilder und unsere Taten entscheiden, ob wir Vorbilder für mutiges Handeln oder Vorbilder für unentschiedenes Abwarten sind. Als gewählte Vertreter:innen der Bürger:innen setzten wir durch unsere Entscheidung ein Zeichen. Wenn wir glauben, dass der Klimawandel existiert, ist es unsere Pflicht, unser Handeln danach auszurichten. Wenn wir es nicht glauben, müssen wir auch dies laut aussprechen und begründen.

All das meinen wir, wenn wir sagen: Zukunft ist kein Schicksalsschlag, sondern die Folge der Entscheidungen, die wir heute treffen. Und ein Datum auf dem Weg der Entscheidungen für eine lebenswerte Zukunft, nicht nur in Kusterdingen, ist der heutige Tag, der 24.02.2021.

Und so sind wir wieder beim Ausgangspunkt unserer Betrachtungen, bei unserem Haushaltsplan und auch bei unseren Anträgen angekommen. Lassen sie uns heute den ersten Schritt hin zu einer kommunalen Klimapolitik machen, die ihren Namen verdient.

Setzen wir für die Fridays for Futur, die Parents for futur und die Grandparents for Futur und alle anderen Menschen in Kusterdingen ein Signal der Hoffnung.

Und: Schauen sie sich um, in die Nachbargemeinden, die ebenfalls das Thema auf ihrem Schild haben und stellen sie sich vor, was wäre, wenn wir gemeinsam unsere Aktivitäten bündeln…

Der vorliegende Haushalt enthält durchaus Potenzial für Klimaschutz. Die drei Großprojekte der Zukunft – der Neubau des Feuerwehrhauses und die beiden Neubauten der Kindergärten – sowie der Anstoß einer Klimamanagementstelle können einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Ob diese Potenziale genutzt, werden wir sehen, wenn die Entscheidungen anstehen. Unser Antrag zum Klimaschutz hat im Vorfeld dazu geführt, dass bereits Argumente ausgetauscht und neue Ideen eingebracht wurden. So hat die Verwaltung den Vorschlag geäußert, den Förderantrag für die Klimaschutz-Managementstelle durch die Agentur für Klimaschutz erstellen zu lassen. Dem können wir durchaus etwas Positives abgewinnen und werden das unterstützen. Warum wir es trotzdem als notwendig erachten im Haushalt 2021, die Verwaltung durch eine halbe Stelle im Bereich Klimaschutz zu stärken, werden wir nachher noch darlegen.

Die Härtenliste steht nicht nur für Umweltschutz, sondern auch für Demokratie und Soziales.

Dies werden wir darlegen durch die Stellungnahmen zu den Anträgen, die wir unterstützen werden.

Beispiel:

  • Neugestaltung der Ortsmitte Kusterdingen
  • Aufstockung der Jugendreferentenstelle für die Jugendfarm
  • Zuschuss zur Sanierung des jüdischen Friedhofs Wankheim
  • Barrierefreier Umbau von Bushaltestellen in Wankheim
  • Die Gestaltung des „Brunnenplätzles“ in Mähringen
  • Der sichere Schulweg von Immenhausen nach Mähringen

Dabei geht es um nicht weniger als das soziale Miteinander und die Gestaltung einer engagierten Zivilgesellschaft, bei der die Teilhabe im Mittelpunkt steht.

Seien Sie mutig, im Sinne aller vier genannten Arten von Mut.

Vielen Dank
Gudrun Witte-Borst

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert